Es ist Sommer, ich sitze bei einer Nageldesignerin. Wir plaudern. Katja hat sich kürzlich selbstständig gemacht — etwas, das ich mich als Coach irgendwie nicht traue. Als sie mir von ihren anfänglichen Zweifeln erzählt, berichte ich ihr von meinen, während ich sie, und dabei fühle ich mich oberschlau, in ihren positiven Annahmen für ihre Geschäftsidee bestärke. Kann ja nicht schaden, denk ich mir…

Aber sie interessiert sich auch fürs Coaching und stellt Fragen, wie das funktioniert. Begeistert erzähle ich ihr von einem Beispiel. Ich behaupte, dass sie, wenn sie sich mitten im Winter wünscht, Tulpen zu sehen, weil sie sich nach dem Frühling sehnt, Ihr Gehirn sie bei diesem Wunsch unterstützen wird.

Nein, es passiert kein Wunder und der Frühling beginnt schon im Januar. Aber sie wird auf dem Arbeitsweg plötzlich die gemalten Tulpen im Fensterbild eines Kindergartens bemerken. Es wird ihr am Feierabend einfallen, dass das Pils-Glas in der Hand „Tulpe“heißt. Und vielleicht wird sie sich am Morgen wundern, dass die Eiskristalle auf der Windschutzscheibe ihres Autos eine Form gezaubert haben, die sie an eine Tulpe erinnert. All das hätte sie nicht bemerkt, wenn sie tags zuvor nicht die Frühlingsblume visualisiert hätte.

„Ja“, sage ich also. „Man kann sich selbst coachen.“ Zum Beispiel, indem man sich auf das fokussiert, was man sich wünscht, statt den Zweifeln Raum zu schenken. So programmiert man sich darauf, sein Potenzial wahrzunehmen, Lösungen zu finden und den nötigen Mut aufzubringen, einen neuen Weg einzuschlagen. „Aber“, sage ich, „das Brett vor dem eigenen Kopf hängt recht hoch.“ Ein Gegenüber kann es besser erkennen und schlaue Fragen stellen, die neue Perspektiven möglich machen. So begleitet der Coach seine Klienten auf ihrem Weg. Nicht, indem er neunmalkluge Ratschläge erteilt, sondern indem er dem Coachee gute Fragen stellt, so dass dieser Ziele formulieren, hinderliche Überzeugungen hinterfragen, Unterstützer identifizieren und Ressourcen entdecken kann, die bisher unbemerkt im Hinterkopf schlummern.

Dann fragt sie mich, ob es wichtig ist, dass man sich sympathisch ist. Das bejahe ich. Der beste Coach wird nicht zu mir vordringen, wenn ich mich nicht öffne. So ganz nebenbei — wir befinden uns ja inmitten einer Maniküre — klären wir kurz und knapp die Frage des Nageldesigns. Ich bin mit einer Vorstellung gekommen, von der mir die mir super nette und professionelle Designerin abrät. Natürlich vertraue ich ich ihr. Schnell wähle ich eine Farbe auf der Palette aus, die sie mir zeigt. Sie freut sich und sagt, sie hätte die Farbe erst kürzlich gekauft und freut sich, dass ich sie mir aussuche. Das bekräftigt mich in meiner Entscheidung.

Zuhause angekommen räume ich das Kleid auf, das seit gestern auf dem Balkon hängt, um auszulüften. Mir fällt auf, dass meine heute so spontan gewählte Farbe im Muster des Kleides vorkommt. Dann setze ich mich auf mein Sofa. Ich hatte Katja versprochen, ihr noch ein Foto von meiner wunderschön manikürten Hand zu schicken. Auf der Suche nach einem geeigneten Hintergrund fällt mein Blick auf ein Sofakissen. Ups. Es harmoniert perfekt mit der Nagelfarbe. In meinem Coaching-Hirn fängt es leise an, innerlich zu kichern.

Als nächstes fällt mir ein, dass meine Fußnägel jetzt nicht mehr zu meinen Fingernägeln passen. Zugegeben, ich bin — ähm — ein bisschen eitel und mag es harmonisch und ich spiele gerne mit Farben. Also werfe ich mal einen Blick in meine Sammlung von Nagellacken. Da schimmert er mir entgegen. Fast genau der gleiche Farbton. Ein Nagellack, den ich vor langer Zeit mal gekauft habe, aber dann hab ich ihn vergessen. Immer wenn ich ihn sehe, wünsche ich mir, ihn mal passend zu finden und stelle ihn zurück in die Schachtel. Heute schnappe ich ihn mir und freue mich.

Lauter Zufälle? Sicher nicht.

Wer hat hier eigentlich wen beeinflusst? Ich sie? Sie mich? Ich mich selbst? Und ist es wichtig, ob Coaching die Wahrnehmung manipuliert, wenn ich auf diese Weise selbstbestimmt zu Perspektiven und Entscheidungen und Verhaltensweisen finde, die mich ans Ziel bringen oder glücklich machen wie jetzt in dem Moment, wo alle Farben auf einmal so wunderbar zusammenpassen?

Ich behaupte nicht, die Nageldesignerin hätte mich bewusst gecoacht oder manipuliert. Aber sie hat ein Gespür für Menschen und vermutlich hat sie das Leuchten in meinen Augen bemerkt, als ich noch überlegt habe, ob ich mich wirklich für diese Farbe entscheiden soll. Und sie hat mich zu diesem Artikel inspiriert. Danke, Katja.

Auch ich kann das Leuchten in den Augen von Menschen sehen und wünsche mir, sie positiv in ihrer Wahl zu bestärken. Oder dabei zu helfen, Zweifel aus dem Weg zu räumen. Wird das jetzt der erste Artikel in meinem Blog?